Volume 33 (June 2001) Number 3ZDMZentralblatt für Didaktik der MathematikInternational Reviews on Mathematical Education
Analyses: Ethnomathematics Ethnomathematics: Why, and What Else? Ethnomathematics — we all have some notions of what it is, but should it be influencing school mathematics? This paper considers a justification for the influence from a constructivist perspective, and considers the implications of enactivism and other ways of thinking on ethnomathematics. My conclusion is that the influence should be broader — that different cultural groups may have different ways of knowing, that we may be asking the wrong questions, and that we might need to consider ‘ethno-education’. *** Ethnomathematik: Warum, und was weiter? Wir alle haben eine
Vorstellung davon, was Ethnomathematik ist, aber sollte sie die Schulmathematik
beeinflussen? In diesem Beitrag wird dies aus einer konstruktivistischen
Perspektive heraus bejaht. Außerdem werden Auswirkungen des Enaktivismus und
anderer Denkweisen auf die Ethnomathemtik betrachtet. Meine Schlussfolgerung ist
die, dass der Einfluss umfassender sein sollte – dass unterschiedliche
kulturelle Gruppen unterschiedliche Denkweisen haben können, dass wir die
falschen Fragen stellen dürfen, und dass wir eine "Ethno-Erziehung"
in Betracht ziehen sollten. How to Connect School Mathematics with Students'
Out-of-School Knowledge In this paper we present an explorative study for which special cultural artifacts have been used, i.e. supermarket receipts, to try to construct with 9-year old pupils (fourth class of primary school) a new mathematical knowledge, i.e. the algorithm for multiplication of decimal numbers. Furthermore also estimation and approximation processes have been introduced, procedures that are not commonly used in ordinary teaching activity. In our study the receipts, through some modifications, have become more explicitly tools of mediation and integration between in and out-of school knowledge; so they can be utilized to create new mathematical goals, thus becoming real mathematizing tools and constituting a didactic interface between in and out-of-school mathematics. In agreement with ethnomathematical perspective we deem that it is a task for the teacher to know, in order to be able to profitably take account of the teaching, the life experienced by the pupil. Future mathematics teachers should be prepared a) to see mathematics incorporated into real world, b) to investigate mathematical ideas and practices of their pupils, and c) to look for ways to incorporate into the curriculum elements belonging to the sociocultural environment of the pupils, as a starting point for mathematical activities in the classroom. In this way the motivation, interest and curiosity of the pupils will be increased and the attitude towards mathematics of both pupils and teachers will be changed. *** Wie lässt sich Schulmathematik mit dem außerschulischen Wissen von
Schülern verbinden? In dieser Arbeit wird eine explorative Studie
aufgezeigt, wofür spezielle kulturelle Mittel verwendet werden wie z.B.
Quittungen von Supermärkten. Das Ziel ist mit 9-Jahre alten Schülern (vierte
Klasse der Grundschule) neue mathematische Kenntnisse zu erarbeiten, z.B. den
Algorithmus zur Multiplikation von Dezimalzahlen. Außerdem wurden Schätz- und
Approximations- Prozesse eingeführt, also Methoden die im normalen Unterricht
nicht behandelt werden. Die Quittungen, bzw. deren Variationen, sind in unserer
Studie als Mittel benützt worden zur Vermittlung und Integration von
schulischen und nicht-schulischen Kenntnissen. Auf diese Weise können sie
benützt werden um neue mathematische Ziele zu formulieren und zu erreichen,
sowie ein didaktisches "Interface" zu bilden zwischen schulischer und
nicht-schulischer Mathematik. Im Einklang mit einer ethnomathematischen
Perspektive halten wir es für die Aufgabe des Lehrers, die Lebenserfahrung des
Schülers kennenzulernen, um den Unterricht optimal zu gestalten. Künftige
Mathematiklehrer sollen in der Lage sein: a) Mathematik in das wirkliche Leben
einzubauen; b) mathematische Ideen und Praxis ihrer Schüler zu untersuchen; c)
nach Mitteln zu suchen um soziokulturelle Elemente ins Curriculum einzubauen als
Ausgangspunkt für die mathematische Tätigkeit in der Schule. Auf diese Weise
wird die Motivation, das Interesse und die Neugier der Schüler vergrößert und
das Verhalten zur Mathematik sowohl von Schülern als von Lehrern sich ändern. Ethnomathematics as a Fundamental of Instructional
Methodology Over the past two or three decades, various political, cultural, and educational forces have brought ethnomathematics and multiculturalism in general into widespread use. Thus, it is important to include ethnomathematical studies in teaching methodology and especially teacher education programs. *** Ethnomathematik als Grundlage der Unterrichtsmethodologie. In
den letzten 20 – 30 Jahren haben verschiedene Kräfte aus Politik, Kultur
sowie Bildung und Erziehung für eine weitverbreitete Nutzung
ethnomathematischer und multikultureller Ideen gesorgt. Es ist von daher
wichtig, Ethnomathematik in den Unterricht und insbesondere in
Lehrerbildungsprogramme zu integrieren. People of My Side » People of
the Other Side. Socionumerical Systems in Central Brazil In this philosophical inquiry into the foundations of Xavante mathematical thought, numbers emerge as categories structured by social praxis in central Brazil. Clans, moieties, age-sets, and specific kin relations can be viewed as conventional symbols, or numerals, representing essential constituencies of the Xavante socionumerical system. As in other Gê-speaking societies of the Brazilian Amazon, Xavante numbers catalyze a set of presuppositions about dialectical mathematical systems whose rationality is informed by the pervasive dualism that governs social interaction for an estimated 8,000 Xavante today. The binary nature of this numerical system is a product of an omnipresent dialectical view of the world, always oscillating between an "us" and a "them" – or people of my side » people of the other side. Accordingly, a unit is defined as the union of 2 fundamental parts, and numerical place value assumes the significance of reciprocal social relationships. The dialectical association of beings, human or not, material or symbolic, within the dynamism of Xavante dualism synthesizes these and other key ideas about the philosophy of Gê mathematical thought. *** Leute meiner Seite » Leute der anderen Seite.
Sozionumerische Systeme in Zentralbrasilien. Bei dieser
philosophischen Erkundung der Grundlagen des mathematischen Denkens des Volkes
der Xavante tauchen Zahlen auf als Kategorien, die durch soziale Gegebenheiten
in Zentralbrasilien strukturiert sind. Clans, Teile, Altersgruppen, spezifische
Verwandtschaftsbeziehungen können als konventionelle Symbole oder Zahlzeichen
angesehen werden, die die wesentlichen Bestandteile des sozionumerischen Systems
der Xavante repräsentieren. Wie in anderen Gê-sprechenden Gesellschaften des
brasilianischen Amazonasgebiets dienen die Zahlen der Xavante sozusagen als
Katalysator für Voraussetzungen dialektischer mathematischer Systeme, deren
Rationalität durch den Dualismus begründet ist, der die soziale Interaktion
der heute auf ca. 8000 geschätzten Xavante beherrscht. Die binäre Natur dieses
numerischen Systems ist das Ergebnis einer allgegenwärtigen dialektischen
Weltsicht, die laufend zwischen "uns" und "ihnen" hin- und
herschwingt – oder: Leute meiner Seite » Leute der
anderen Seite. Entsprechend wird eine Einheit definiert als Vereinigung von zwei
fundamentalen Teilen, und dem numerischen Stellenwert liegt die Bedeutung der
reziproken sozialen Beziehung zugrunde. Die dialektische Assoziation von
menschlichen und nichtmenschlichen, materiellen und symbolischen Wesen im Rahmen
des Dynamismus im Dualismus der Xavante synthetisiert diese und andere
Schlüsselideen zur Philosophie des Gê mathematischen Denkens. |